Über Gastfamilienleben und Geschlechterrollen

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Hallo Leute!
Ich war in letzter Zeit wieder ein wenig schreibfaul, sorry.

Über Tansania möchte ich keinen separaten Eintrag verfassen, weil das nicht Thema dieses Blogs ist, allerdings war sowohl das Zwischenseminar in Moshi, als auch der Rest der Rundreise super interessant.

Ich bin jedenfalls froh, wieder in Malawi zu sein, ich merke demnach, dass sich mir schon gewisse Heimatgefühle entwickelt haben smiley.

 

Viele haben mich bereits gefragt, wie das denn mit den Geschlechtsrollen aussieht. 
Die Regierung hat zwar ein Ministerium für Frauen- und Kinderentwicklung geschaffen, doch in der Realität ist Malawi noch weit entfernt von der Chancengleichheit der Geschlechter.
So ist es in dieser patriarchischen Gesellschaft der Frau mit der Geburt angehängt, später den Haushalt zu führen, jungen Alters Kinder zu bekommen und generell sozial benachteiligt zu sein. 
Nochmal zur Erinnerung, ich lebe zusammen mit meinen beiden Gasteltern, meinem Gastbruder, einem Verwandten der Familie, einer Hausfrau und dem kleinen Neffen Lusayo.
Ich werde schon komisch angeschaut, wenn ich einen Fuß in die Küche setze, um mein Geschirr abzuwaschen. Die Küche gehört nun mal dem weiblichen Geschlecht, in meinem Fall meiner Gastmutter und hauptsächlich der Hausfrau, die meine Familie beschäftigt. 
Daher erledigen jene auch jegliche Waschangelegenheiten, den Einkauf und die Erziehung von Lusayo.
Der Mann hingegen ist für die finanzielle Absicherung zuständig.
Wenn nach der Arbeit, oder am Wochenende, dann gekocht wird, hört mein Gastvater Radio, schaut Fußball, etc. Etwas anderes wird von ihm auch nicht verlangt.
Auch haben viele, vor allem ältere Frauen, damit gar kein Problem, nein manche Frauen behaupten sich sogar damit. 
Wenn sie auch außerhalb des Hauses sozial unterlegen sein mögen, sind sie im Haushalt klar die Supermacht.

 

Mir zollen die Frauen sowieso den größeren Respekt: einen halben Baum auf dem Kopf tragen, das bekommt kein Mann hier hin! 
Auf dem Rückweg des Einkaufs läuft dieser voran, die Frau mit den Einkaufswaren auf dem Kopf und dem Kind auf dem Rücken gewickelt hinterher.
Klare Rollenverteilung!
Natürlich gibt es auch, vor allem durch den westlichen Einfluss, Bewegungen der Emanzipation, so ist im Parlament beispielsweise eine gewisse Anzahl an Frauen zu finden (wenn auch nur repräsentativ).
Auch die Chefin des Immigration-Office in Mzuzu ist eine Frau.

 

Man merke sich, wenn in der Familie ein erfahrener Mann beständig ist (Vater, Großvater, Onkel), nimmt dieser die größte Rolle ein.
Es kommt aber auch vor, dass Familien keine Männer mehr besitzen, da die die Ehe kaputt, oder der Mann schon verstorben ist. 
Dann ist die erfahrenste Frau natürlich die höchste Instanz, nicht etwa das männliche Kind.

Größte Instanz in unserem Haushalt ist mit Sicherheit mein Gastvater. Dieser hat demnach auch den größten Teller, das Portemonnaie, den Sessel, die Rechte über das Auto und die Freiheit, am Wochenende machen zu können, was er auch möchte. 
Da meine Gastmutter auch beruflich tätig ist (Krankenschwester), wird der Haushalt hauptsächlich von der Hausfrau betrieben. Während Gastmutter arbeiten ist, passt die Hausfrau auf Lusayo auf, sobald Gastmutter heimkommt, übernimmt sie ihn.
Malawische Familien, die genügend Geld haben, stellen oft finanziell Benachteiligte ein, damit beide Seiten etwas davon haben, meistens sind das dann Hausfrauen. 
Dass es keine Hausmänner sind, das muss ich euch ja wohl nicht erklären, oder?
Leider wird der Verwandte der Familie, ich könnte ihn „Gastcousin“ nennen, oft mit in die Rolle der Hausfrau gezogen. Er wohnt hier, weil man ihm hier bessere schulische Chancen verspricht und seine Familie ziemlich beschäftigt ist, bei Lusayo ist es das selbe.
Dass man im Jugendalter nicht bei der eigenen Familie lebt, ist hier nicht außergewöhnlich.
Demnach erwische ich meinen Gastcousin oft einkaufen, den Garten pflegen und abwaschen.

Woran man außerdem erkennen kann, in welcher hierarchischen Position man sich befindet?
Man schaut, wer wo zu Abend isst. 
Während mein Gastcousin und die Hausfrau immer in der Küche essen, wird für mich im Wohnzimmer zusammen mit meinen Gasteltern und meinem Gastbruder aufgetragen.
Woran es liegt? Vielleicht, weil ich Weiß bin, vielleicht, weil Kolping für mich (GUT) bezahlt, vielleicht, weil ich männlich bin oder aus reiner Gastfreundschaft, ich weiß es nicht wirklich.
Es gibt auch noch Familien in Malawi, in denen Frauen und Männer getrennt essen, die Männer bekommen dann dein einzigen Tisch im Haus.

Ihr seht, Leute, keine Gesellschaft ist homogen smiley.

Was ich noch zur Kindeserziehung sagen möchte:
In den ersten paar Lebensjahren ist es egal, wo das Kind schläft, ob alleine, mit der Mutter oder dem Vater. Als ich aber im Taxi mal mit einem Herren über Intimität gesprochen habe, war dieser geschockt, als ich ihm erzählt habe, dass in Deutschland (junge) Mädchen doch auch ab und zu noch mit ihren Vätern in einem Zimmer schlafen. Für uns doch kein Ding, gewiss?
In Malawi ist das ein No-Go! Ab Schulalter haben die Kinder, wenn möglich, getrennte Schlafräume, sowohl von ihren Eltern, als auch von allen Andersgeschlechtlichen. So gibt es meistens einen Schlafraum für Jungen, Mädchen und Eltern. Der Raum des anderen wird strikt nicht betreten.
In unserem Haus ist das auch der Fall – nur, dass ich auch noch mein eigenes Zimmer habe.

Leider fängt die Chancenungleichheit schon im Jugendalter an.
Während beide Geschlechter zu 70% die Primary School besuchen dürfen, da diese gewissermaßen kostenlos ist, darf nur die Hälfte aller Mädchen nach der Primary die Secondary besuchen.
Danach wird bei einem Teil der malawischen Familien schon an das erste Kind, die Heirat und das Arbeitsleben gedacht.
Neben dem Führen des Haushalts sind viele Frauen zusätzlich noch als „Businesswomen“ tätig, das heißt, dass sie auf dem Markt Güter wie Früchte, Gemüse, Fisch, Mandazis (kleine Gebäcktaschen) oder manchmal auch Kleidung verkaufen, dabei wird das Kleinkind dann meistens mit einem Chintenje um den Rücken gebunden.
Auch im öffentlichen Verkehr ist die Chancenungleichheit präsent. 
Der Mann bekommt stets die besseren Plätze, wenn die Frau nicht sogar aussteigen muss, um dem Mann Platz zu machen.
Um zu verstehen, dass der Umgangston mit den Frauen nicht dem der Männer entspricht, muss man auch kein Chitumbuka verstehen. 

 

So, zwischen Mann und Frau haben wir nun schon differenzieren können – aber es geht noch weiter:

Auch innerhalb des Geschlechts gibt es bei den meisten Ethnien gewisse Hierarchien.
Mein Gastvater, zum Beispiel, genießt hohes Ansehen, da dieser eine hohe Stelle als Arzt in unserem Krankenhaus besitzt. Ein Politiker oder Beamter wäre da die nächst höhere Stufe, Taxifahrer oder Verkäufer vielleicht die nächst niedrigere. So ganz transparent ist das System dahinter nicht. Weiterhin gilt, je erfahrener (also älter), desto höher angesehen.
Wir Weißen befinden uns da irgendwo im oberen Mittelfeld, werden aber jedenfalls stets mit mehr Aufmerksamkeit behandelt. Das kann auch nervig sein! wink
Als Ergänzung zu dem „Muzungu“-Artikel kann ich noch sagen, dass nicht nur wir Weißen mehr zahlen müssen, nein auch Leute, die einfach im oberen Feld der Hierarchie zu sein scheinen.
Man beachte das „scheinen“. Erweckst du also den Eindruck, zum oberen Feld zu gehören, zahlst du mehr. Auch wenn du nicht die regionale Sprache sprichst, kann es sein, dass du mehr zahlen musst. Demnach müssen Nigerianer, Südafrikaner oder Inder auch gelegentlich einen drauf legen.
Bei uns Muzungus ist es leider zu offensichtlich, auch wenn wir hier geboren wären, müssten wir uns mit anderen Preisen abfinden smiley. Dunkel anmalen soll übrigens auch nicht helfen...Schade!

Zurück zur Chancenungleichheit: Das hört sich für uns Westeuropäer zunächst konventionell und radikal an, führt aber zu einem klar strukturierten Leben, so argumentieren viele Leute hier. „Es war ja schon immer so“, ist hier das Argument für jegliche kulturelle Diskussion.
Ohne den westlichen Einfluss würde es auch so bleiben! Gut oder schlecht? Das entscheidet ihr jetzt smiley. Beachtet dabei, dass die Westliche Welt nicht die Musterkultur vorgibt. Es ist nur halt unsere Kultur.

So, das war es auch wieder!

Melde mich demnächst,

Max


Kommentare


Jürgen (Georg) Herold 04.03.2018 11:52:26

Du hast eine gute Beobachtungsgabe. Ich bin von Deinem Artikel beindruckt! Weiter so Max!!

Über mich

Hallo, ich bin Max Lachnicht!

Ich komme aus Gronau-Epe, nahe Münster in Westfalen und bin neunzehn Jahre alt.

Momentan mache ich mein Abitur am Canisiusstift in Ahaus und werde ab September im Rahmen des Kolpingwerk Deutschlands ein freiwilliges soziales Jahr in Malawi machen!

Wieso ich das mache?